Bestimmen Sie mit Hilfe von dem Interview, ob die Behauptungen richtig oder falsch sind!
10. Was hatte sich in ihrer alten Heimat auffallend verändert, z. B. im Straßenbild?
Nach dem 9. November war ich in kurzer Folge öfter in Leipzig, Halle und Berlin und was da als erstes auffiel, war z. B. dass es sehr viele Verkaufsstände gab, dass das Straßenbild bunter wurde, dass endlich angefangen wurde Häuser zu renovieren, dass aber andererseits auch mehr Kriminalität zu beobachten war, dass man z. B. gewarnt wurde, sich nicht alleine abends zu bewegen, und die ersten Bettler tauchten auf.
11. Und bei Menschen?
Die Menschen waren zuerst total euphorisch, aber dann bald auch ängstlich. Sie machten sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz, oder was mit ihren Sparguthaben werden würde. Bei der Einreise in die DDR bemerkte man z. B., wie die Grenzformalitäten immer lockerer wurden und zum Schluss sogar ganz wegfielen. Schon zu Weihachten 1989 konnte man z. B. ungestraft mit den Grenzern scherzen, z. B. hatte ich die Zollerklärung mit Rotstift ausgefüllt und der Zöllner am Flughafen Berlin-Schönefeld wies mich zurecht, mit Rot schreibe nur der Minister. Ich darauf: „Für das Amt will ich mich ja gerade bewerben“ – und er schmunzelte tatsächlich – also früher hätte man sich ein Scherzen über solche Dinge überhaupt nicht erlauben dürfen.
12. Welche Veränderungen brachte das in den Alltag?
Im Alltag war zuerst auffällig das buntere Warenangebot, keiner wollte jetzt mehr die DDR-Produkte kaufen, die jetzt zu Billigpreisen verschleudert wurden, z. B. Bücher, und zwar nicht nur Bücher politischen Inhalts, auch ganz normale Romane, Klassiker, oder Kinderbekleidung aus DDR-Beständen verschleudert wurden, DDR-Kosmetik usw., alle wollten endlich Rexona kaufen. Und Bananen gab es jetzt auch überall. Wie kurzsichtig allerdings dieses Kaufverhalten war, merkte man erst später, denn das leistete natürlich auch dem Abbau der eigenen Arbeitskräfte Vorschub. Positiv war andererseits, dass jetzt z. B. das Telefonieren ins Ausland wesentlich billiger wurde. Denn zu DDR-Zeiten kostete eine Minute nach Finnland z. B. 5 Mark.
13. Und was denken Sie, seit dem Mauerfall bis heute, was hat sich ihrer Meinung
nach deutlich verändert?
Während in der Wendezeit noch „Wir sind das Volk“ der Leitspruch der Demonstranten war und man vor allem die DDR reformieren wollte, tauchten schon zu Weihnachten 1989 Spruchbänder mit der Parole „Wir sind ein Volk“ auf. Und durch die schließlich am 3. Oktober 1990 vollzogene Vereinigung Deutschlands hat sich das ganze Leben der Ostdeutschen natürlich gravierend verändert, das westdeutsche System wurde praktisch in allen Bereichen übergestülpt. Man machte sich nicht die Mühe, nach aufhebenswerten DDR-Sachen zu suchen, voneinander zu lernen. Die Wessis zeigten Siegermentalität auf der einen Seite, und die Ossis Minderwertigkeitskomplexe auf der anderen. Die Zahl der Arbeitslosen stieg, weil die Betriebe abgewickelt wurden, wie man das nannte. Zu DDR-Zeiten gab es damals keine Arbeitslosen, und auch Frauen gingen i. d. Regel voll arbeiten, weil es genügend Krippen- und Kindergartenplätze gab. Auch viele Musiker und andere Künstler wurden arbeitslos, weil die Kultur nicht mehr so unterstützt wurde, wie zu DDR-Zeiten. Die Geburtenzahlen wiederum sanken infolge der sozialen Unsicherheit. Auch das Schulbildungssystem wurde vom Westen übernommen. Und ein Paradoxon ist meiner Meinung nach, dass jetzt auch Ostdeutsche nach Finnland reisen, um sich das von PISA hochgelobte finnische Bildungssystem anzuschauen, wobei sich Finnland bei seiner Schulreform damals u. a. stark am DDR-System orientiert hatte.
Im vorrigen Herbst waren genau 15 Jahre nach dem Fall der Mauer vergangen.
14. Was glauben Sie, was denken die Menschen in Deutschland heute über den
Mauerfall?
Der Fall der Mauer wird sicher immer noch positiv bewertet, aber die euphorische Einstellung zu den „Brüdern und Schwestern im anderen Teil Deutschlands“ hat sich teilweise in beidseitige Abneigung gewandelt. Es gibt da den Witz, der schon im Frühjahr 1990 kursierte: Sagt der Ossi zum Wessi „Wir sind ein Volk“ und der Wessi antwortet „Wir auch.“ Die Mauer in den Köpfen, würde ich sagen, existiert immer noch und ist teilweise vielleicht sogar gewachsen, was ich, wenn ich das so aus der Ferne, also von Finnland aus, betrachte, nicht immer richtig nachvollziehen kann. Man spricht z. B. immer noch von „Jammerossis“ und „Besserwessis“. Und ich denke es wird wohl mindestens noch eine Generation dauern, bis solche Unterschiede verschwinden.