Hier können Sie lesen,
was eine Bürgerin der ehemaligen DDR über
ihre Jugendzeit erzählte.
Das Land, in dem ich Kind war, gibt es nicht mehr. Es war
ein Land, in dem viel von Zukunft zu hören war, in dem
ich mit anderen Kindern sang: "Die Heimat hat sich schön
gemacht und Tau steht ihr im Haar..." Und jetzt ist es
ein Land der Vergangenheit.
Wir griffen nach den Sternen, wollten das höchste Menschenglück...
Lichte Horizonte ahnten wir. Und dort prangte ein Ziel, ein
einziger Begriff für all das, was menschlich ist. Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit. Das Zauberwort hieß:
Kommunismus. Für ihn lohnte sich alle Mühe. Dafür
lernten wir. Dafür wollten wir arbeiten. Mädchen
genauso wie Jungen. Bei der Wahl des Berufes überlegte
man weniger: Was würde mir Spaß machen? Eher: Womit
wäre ich am nützlichsten? |
Ich wuchs heran mit einem Wust von unerreichbaren
Idealen, aus denen unerfüllbare Forderungen an mich entstanden...
Der Druck, den ich empfand, war durch mich selbst erzeugt.
Sonst hätte er nicht funktioniert.
Ich dachte mit acht, als Junger Pionier, dem Weltfrieden
zu dienen, wenn ich Altstoffe sammelte. Ich wollte mit neun
die gemauerte Trennung von meiner Westberliner Großmutter
gutheißen, weil sie angeblich wichtig war für mein
Land. Ich mühte mich mit siebzehn als Oberschülerin
und FDJlerin, meine Freiheitssehnsüchte zu unterdrücken,
um ein treuer Staatsbürger zu werden... Mit zwanzig,
als Studentin der Journalistik, schob ich die Spitzelwut,
die Engstirnigkeit und Verlogenheit der Hochschullehrer und
ihrer Helfer unter den Studenten auf ihre persönliche
Unfähigkeit, nie aber auf den Sozialismus als Ganzes,
mein Ziel und Ideal... Ich war ein Pionier geblieben bis über
die dreißig. Und es gab viele wie mich...
Heute, da die DDR sich vor der Weltöffentlichkeit entblättert
wie ein sterbender Baum, fragen sich viele: Wie konnte es
so weit kommen? Warum habt ihr das mit euch machen lassen?
Nein, es war nicht nur Angst und Feigheit. Und wir haben es
auch nicht nur mit uns machen lassen. Wir haben es selbst
gemacht. Wir sind einem falschen Ideal aufgesessen.
Vera-Maria Baehr: Wir denken erst seit Gorbatschow,
Recklinghausen (Georg Bitter Verlag) 1990, S. 7-9.
Quelle:http://www.lpb.bwue.de/aktuell/puu/2_00/eins.htm
|
|